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2013-06-23

DEPECHE MAIDEN (live in Hamburg, Juni 2013)

Mensch, was geht so eine Woche schnell rum. Am Montag, dem 17. Juni habe ich erstmals Depeche Mode live gesehen und noch gar nichts dazu geschrieben! Ich war einfach immer abends zu müde oder hatte anderes zu tun, wie z.B. mir am Mittwoch Iron Maiden anzuschauen.

Und weil beide Konzerte ja innerhalb von nur drei Tagen nur einen Steinwurf voneinander entfernt stattfanden - und natürlich weil es prinzipiell bei diesen beiden Gruppen eigentlich verboten hoch zehn ist - lege ich sie in meinem persönlichen Review einfach mal zusammen. ;)


Herzlich Willkommen zum großen Maiden/Mode-Vergleich!

DIE KONTRAHENTEN:

In "Delta Machine"-Rosa Depeche Mode - britische Band, gegründet 1980; Studioalben: 13; verkaufte Tonträger: über 100 Millionen; Stil: Synthie Pop / Synth Rock / New Wave

In "Seventh Son Of A Seventh Son"-Hellblau Iron Maiden - britische Band, gegründet 1975; Studioalben: 15; verkaufte Tonträger: über 90 Millionen; Stil: New Wave of British Heavy Metal

Merke: Die Bezeichnung "neu" ist nicht nur in längerfristig laufender Werbung oder in Straßen- und Ortsteilnamen ("Neue Straße", "Neues Dorf") dämlich, sondern auch in Genrebezeichnungen.
Ansonsten liegen die Bands ziemlich gleichauf. Bei noch genauerer Betrachtung würde einem auch noch auffallen, dass die größten Kultalben beider Gruppen ebenfalls etwa zur gleichen Zeit erschienen sind. Der Battle startet also unter fairen Bedingungen.

TICKETS:

IM: liebloses eventim-Einheitsdesign; mit 70 Ocken ganz schön teuer

DM: tatsächlich mal ein Ticket, auf dem Bandfoto und Logo zu sehen sind; dafür aber auch fast 14 Euro happiger!

Da ich meine Konzertkarten sowieso entsorge, gehe ich nur nach der niedrigeren Zahl hinter "EUR". Klarer Punkt für Maiden!


HAUPTSPONSOR:

DM: ARD

IM: RTL

Zwei Fernsehsender, die mit mit Musikkompetenz etwa so viel zu tun haben wie mit gutem Fernsehen. Naja, solange ich durch deren Geld nicht noch mehr Eintritt zahlen muss, meinetwegen... unentschieden.


LOCATION / PLATZ:

DM:   Imtech Arena, Open Air vor etwa 45.000 Zuschauern. Ich sitze in Block 6A der Osttribüne, Reihe 9, Platz 13, also etwa auf Höhe der Delaytürme. Ohne Bildschirme sind die Musiker kleiner als die Kuppe meines kleinen Fingers.

IM: o2 World, regengeschützt (wofür die Roadies nach dem Konzert sicherlich extrem dankbar waren) vor ca. 12.000 Zuschauern. Stehplatz auf mittlerer Höhe des Innenraums. Ganz nach vorne kommen wir nicht mehr, da der vordere Bereich zum Schutz gegen Überfüllung abgesperrt ist und natürlich niemand seinen durch frühes Erscheinen dort ergatterten Platz wieder hergibt.

Nach Zahlen geht dieser Punkt ganz klar an Depeche Mode.
Ich weiß nicht, ob es nur am Platz lang, aber vom Konzerterleben her waren Iron Maiden doch etwas unmittelbarer, während in der Imtech Arena manchmal eher Eventstimmung herrschte, d.h. statt ständig mitzugehen, reagierte das Publikum eher auf bestimmte Schlüsselereignisse (vor dem zweiten Song ist die Band endlich auf den Bildschirmen zu sehen, die ersten Töne des Klassikers xy werden erkannt...).
In guten Momenten gab es bei  Depeche Mode durch die so viel größere Masse aber wiederum auch mächtigere Gänsehautmomente, von daher bleibt der Punkt bei ihnen.


DURCHSCHNITTSALTER DES PUBLIKUMS:

DM: sehr viele alte Fans, die altes Zeug hören wollen; einige sehr junge Fans = Nachwuchs der alten Fans; von den Teenagern bis Spätzwanzigern klafft aber schon eine Lücke. Als Jahrgang 1977 habe ich das Gefühl, noch klar unter dem Methusalem-Durchschnitt zu liegen.

IM: sehr viele alte Fans, die altes Zeug hören wollen, aber auch reichlich Nachschub. Auch neue Metalfans orientieren sich eben schnell an den Originalen.

Das Publikum von Iron Maiden ist tatsächlich sichtbar jünger, obwohl Depeche Mode ein aktuelles Album im Schlepptau haben, während Maiden die "Maiden England"-Tour von 1988 wiederaufleben lassen (neueste Stücke von 1992). Klarer Punkt für die Eiserne Jungfrau! 


T-SHIRT-PRÄSENZ:

IM: Band-T-Shirts sind ein Metal-Ding und Maiden ist die Metalband. Die Mehrzahl der Fans trägt ein Band-T-Shirt, und die meisten Shirts hat Iron Maiden gestiftet, zumal am Merchandising-Stand auch reichlich neue Hemden über den Tisch gehen.

DM: Nie habe ich mich mit einem Voivod-Shirt einsamer gefühlt. Ich sehe ein einsames Rammstein-Leibchen, ansonsten viele Kleidungsvarianten von Normalo über Schmalzlockengrufti bis zum Engelchenköstum, aber relativ wenige Musikuniformen, und die auch nur von einer einzigen Band...

Objektiv gesehen sind Depeche Mode-T-Shirts vermutlich stilsicherer, aber Eddie ist nunmal Maiden und Maiden sind Metal und Metal sind Bandshirts... also geht dieser Punkt auch ganz sicher an Iron Maiden.



MITBRINGSEL FÜR GEIZHÄLSE:

IM: nüscht

DM: Der Ticketsammler hat schon vorher die schickere Eintrittskarte. Und trinkt er etwas und verzichtet auf Pfand, dann bekommt er auch noch einen "Delta Machine"-Becher.



Punkt für Depeche Mode.



SUPPORT-ACTS:

DM: Vor solch einer Legende aufzutreten ist immer ziemlich undankbar. Auf dem Ticket ist noch nicht einmal ein Support-Act angekündigt. Es kommt dann aber doch ein Elektro-Duo. Name? Weiß ich nicht. Aussehen? Keine Ahnung, auf den Bildschirmen war noch keine Bühnenaction zu sehen. Dadurch, dass die Musik vollelektronisch erzeugt wurde, unterschied es sich eigentlich auch wenig von der Konservenmucke, die vorher über die Anlage lief, und es wirkte eher so, als würde da jemand zu ziemlich simplen, repetiven Elektrosongs Karaoke singen. In den ersten zwei Reihen gingen anscheinend ein paar Fans richtig ab. Beim Rest dürfte wenig bis gar nichts hängengeblieben sein.

IM: Ein eigenes Banner und eigene Bühnendeko machen bei Betreten der Halle unmissverständlich klar, dass Voodoo Six auf der Bühne stehen. Die Briten spielen eine straighte Mischung aus modernem Rock und klassischem Metal und machen damit nichts verkehrt. In anderer Umgebung mag diese Musik wahrscheinlich richtig abräumen, hier wurde sie zwar wohlwollend aufgenommen, aber vor solch einer Legende aufzutreten ist natürlich immer ziemlich undankbar...

Trotzdem ganz klarer Punkt für Voodoo Six.



Nun schauen wir uns aber die Hauptbands des Abends an:

GESANG:

IM: Ich bedaure die Altenpfleger von Bruce Dickinson jetzt schon. Wie soll man einen hyperaktiven Hundertzehnjährigen ins Bett bekommen, der in seinem Rollstuhl ständig mit 200 Sachen den Flur hin und her jagt? Welche Strecke der Mann jetzt mit Mitte fünfzig auf der Bühne abläuft ist schon erstaunlich. Allerdings wäre es durchaus songdienlicher, wenn er mit dem einen oder anderen Spurt ans andere Bühnenende noch bis zur nächsten Instrumentalpassage warten würde. Denn auch wenn seine Stimmleistung im Großen und Ganzen nach wie vor beachtlich ist, bleibt mancher Gesangspart im Dauerlauf doch auf der Strecke.

DM: Auf dem Papier ist Dave Gahan vier Jahre jünger als Bruce Dickinson, doch machen wir uns nichts vor: Wo der Maiden-Sänger abseits der Musik mit sportlicher Aktivität und dem berufsmäßigen  Steuern von Passagierflugzeugen glänzte, hat der vor seiner Musikkarriere als Kleinkrimineller tätige Depeche Mode-Frontmann mit exzessivem Konsum harter Drogen und einem Selbstmordversuch andere Schwerpunkte gesetzt. Angesichts dessen wirkt der Mann erstaunlich fit, doch das Pensum von Dickinson würde er wohl kaum durchhalten. Seine Actionszenen sind von daher noch genauer geplant und seine Bühnenpausen deutlich länger.

Die Entscheidung ist denkbar knapp. Man könnte meinen, Bruce hat als ewig fitter Stimmungsanheizer alle Trümpfe auf seiner Seite. Dennoch gebe ich diesen Punkt an Depeche Mode, weil Dave Gahan einfach mehr Rücksicht auf seine gesangliche Darbietung nimmt.


BACKGROUND-GESANG:

IM: Ab und zu gibt's im Refrain ein bisschen zusätzliches Shouting. Würde auch nicht fehlen, wenn's nicht da wäre, denn das Publikum kennt den Text ja auch.

DM: Martin Gores Harmoniestimme gehört zu den unverkennbaren Markenzeichen der Band. Für einige Titel übernimmt er zudem den Leadgesang, während Gahan sich hinter der Bühne im Sauerstoffzelt wieder aufpumpen lässt. Dass er dabei immer noch so lampenfiebrig nervös wirkt wie  ein kleiner Junge, der bei Michael Schanze im Fernsehen ein Gedicht aufsagen darf, das beschert ihm nur zusätzlichen Sympathien.

Punkt für Depeche Mode.


GITARRE:

DM: Für mich ist Martin Gore ja einer der genialsten Gitarristen überhaupt. Der Kerl hängt sich für jeden Song, in dem er in die Saiten greift, ein anderes Designerteil um, als wäre er spielerisch ein Hecht mindestens der Marke Prince, sieht dann aber aus, als sei ihm das Ding nur versehentlich um den Hals gefallen. Von der Ausstrahlung her also das absolute Gegenteil eines Rockstars. Man könnte eher meinen, da erinnert sich ein Neuling auf dem Instrument gerade mühsam an die ersten paar Griffe, die er gelernt hat.
In Wahrheit ist in seinem Spiel aber jeder Ton gleich wichtig, es ist absolut auf das Wesentliche reduziert und gerade dadurch so effektiv.


IM: Ein großartiger Dave Murray, ein überragender Leadgitarrist Adrian Smith und der als zweitgrößtes Aktionszentrum auf der Bühne sämtliche Posingklischees abspulende Jannick Gers. Da weiß man live natürlich nicht immer, was gerade von wem kommt, aber was soll's? Ein so von Gitarrenharmonien mitgeprägter Metal mit satten drei Klampfen - das ist ein Brett!

Punkt für Iron Maiden, alles andere wäre Blasphemie.


BASS:

DM: Depeche Mode haben einen Bass. Der wird bei "A Pain That I'm Used To" gespielt. Ansonsten werden alle tiefen Töne digital erzeugt.

IM: Bei Iron Maiden dreht sich kompositorisch alles um das herausragende Bassspiel von Steve Harris, dem Mastermind hinter der Band, dem wohl bedeutendstem Bassisten im Heavy Metal überhaupt.

Keine Diskussion, Punkt für Iron Maiden.



KEYBOARD:

IM: Iron Maiden haben einen Keyboarder. Der wird - wie bei Queen in den Achtzigern - hinter der Bühne versteckt, weil Synthesizer kein Rock'n'Roll sind. Nur beim überragenden Epos und Herzstück des Abends "Seventh Son Of A Seventh" wird sein Bühnenteil mal nach oben gepumpt, wo er hinter Orgelpfeifendeko versteckt in die Menge hineinbösen darf.

DM: Bei Depeche Mode dreht sich kompositorisch alles um die Synthesizer, die ureigende Kernkompentenz der Gruppe. Die Stationen von Andrew Fletcher und Livemusiker Peter Gordeno sind fast ständig besetzt, dazu greift auch Martin Gore ab und zu in die Tasten.

Natürlich punkten hier Depeche Mode.


SCHLAGZEUG:

DM: Die Tatsache, dass die Elektropioniere überhaupt einen leibhaftigen Drummer zwischen sich auf der Bühne sitzen haben, ist ja schon aller Ehren wert. Noch dazu ist Christian Eigner wahrhaftig ein Tier hinter den Trommeln und aus dem Livesound gar nicht mehr wegzudenken. Treibend und auf allerhöchstem Niveau virtuos bekommt er während der Show auch viele Spots, in denen er strahlen darf. Beeindruckend.

IM: Der Drummer, den ohne Kameras noch niemand gesehen hätte, so hoch hängen seine Toms. Zusammen mit Steve Harris ist Nicko McBrain Teil einer legendären und einzigartigen Rhythmussektion. Und ebenso wie der Bassist ein absolut stilprägender Musiker.

Die Wahl fällt mir hier am schwersten. Aber käme heute nacht eine Fee zu mir und ich könnte mir aussuchen, mit wessen Fähigkeiten ich morgen früh aufwache, dann würde ich - allen Spezialfähigkeiten des Maiden-Drummers zum trotz - nach langem Zögern wohl doch den Eigner wählen. Ganz knapper Punkt für Depeche Mode.


OPTIK (Personal):

Tendentiell würde ich ja sagen, dass bis auf ein paar Ausnahmen beide Bühnen von hässlichen alten Säcken bevölkert wurden, aber wenn ich den (bei Depeche Mode ungleich größeren) weiblichen Teil des Publikums zu Rate ziehe, in die Gesichter einiger Maiden-Gitarristen schaue und bedenke, dass deren Drummer sogar durch ein riesiges Kit versteckt wird, dann muss sich der Metalfan in mir wohl keine Illusionen machen.

Punkt für Depeche Mode. Zum Glück ist Metalfans das egal.



OPTIK (Bühne):

IM: Vielleicht sind Iron Maiden das größte reisende Kasperletheater der Welt. Die Bühne besteht aus drei Teilen: Vorne agieren die fünf Musiker, eine Ebene höher, den Rest der Bühne in einem Bogen umspannend, agiert Zirkusdirektor Bruce Dickinson, dahinter prägen wechselnde Vorhänge, auf denen sich das Maskottchen Eddie in unterschiedlichsten Variationen die Ehre gibt, das Bühnenbild. Dies alles ist in stehts hochprofessionelles, stimmungsvolles Licht getaucht.
Das Ganze wird gekrönt zum einen mit dem sporadischen Einsatz von Pyrotechnik, zum anderen wie gesagt mit Kasperletheater. Diverse übergroße Eddie-Figuren und der leibhaftige Gehörnte bevölkern die Bühne und sorgen für Belustigung, aber angesichts ihrer Infantilität auch für einen leichten Hauch Fremdscham, da die Band dieses Zeug ja bereits in den Achtzigern eigentlich nicht nötig hatte.
Nur als gegen Ende des Sets, ich glaube es war bei "The Clairvoyant" der riesenhafte Eddie vom "Seventh Son"-Cover seinen tanzenden Mini-Me-Fötus in der Hand hielt, da war genau das richtige Gleichgewicht zwischen eigentlich peinlich, aber anderseits total cool und lustig erreicht.


DM: Auch das Drumherum bei Depeche Mode ist nicht frei von kindischen Momenten, so etwa wenn bei "Goodbye" in einer von Anton Corbijn inszenierten Videosequenz die drei Kernmitglieder der Band den ganzen Song lang Hüte ausprobieren oder wenn "Precious" von einer offensichtlich internetinspirierten Slideshow süßer Hunde begleitet wird. Insgesamt ist das auf den ersten Blick einfache Bühnenbild jedoch erwachsener. Der variable Einsatz der Bildschirmflächen auf und neben der Bühne hat seinen Anteil daran, dass die gesamte Präsentation der Band sich bei jedem Song vollkommen wandelt. Das lässt sich vielleicht weniger gut beschreiben und ist weniger fröhlich-infantil, als bei Iron Maiden, aber letztendlich ist es einfach stimmungsvoller und bedeutet unterm Strich:

Punkt für Depeche Mode.


SOUND:

DM: Am Anfang stimmte die Abstimmung von vorder PA und Delay-Towern vielleicht noch nicht ganz. Zumindest kam es beim ersten Mitklatsch-Teil auf Höhe von Block 6a zu Problemen. Dies fing sich jedoch schnell und ich kann mich nicht weiter beklagen, obwohl es sicherlich akustisch bessere Plätze in der Arena gegeben hat.

IM: Das Schlagzeug von den Gitarren untergebuttert, der Gesang mit viel zu viel Hall, die Bruce Dickinsons Ansagen zum Teil sehr schwer verständlich machten. Nein, der Sound war nicht wirklich gut und wurde es trotz allmählicher Besserung auch zum Ende hin nicht. Sehr schade, für das Geld kann man wirklich mehr verlangen.

Minuspunkt für den Mischer von Iron Maiden.


SET:

Alle erfolgreichen Bands, die ein oder mehrere Jahrzehnt auf dem Buckel haben, stehen irgendwann vor dem Problem, dass ihre Fans irgendwann stur in der Vergangenheit verharren und es eigentlich müßig wird, noch neue Alben zu veröffentlichen und neue Lieder live zu spielen, weil das Publikum ja doch nur die alten Klassiker, mit denen es Erinnerungen an seine eigene Jugend verbindet, hören möchte. Mit dieser Problematik gehen Depeche Mode und Iron Maiden sehr unterschiedlich um.

DM: Depeche Mode wählen den klassischen Weg und spielen zu etwas einem Drittel aktuelle Songs, während der Rest des Sets mit absoluten Pflichtliedern und ein paar Überraschungen aus dem Backkatalog bestritten wird. Im Grunde eine gesunde Mischung, auch wenn es bei aktuellen Songs immer zu einem kleinen Stimmungsabfall kommen muss. Das Problem mit vielen Tracks von "Delta Machine" ist nur, dass ihnen bei aller Qualität einfach ein intimerer Rahmen als ein Stadion entgegenkommen würde. Bestes Beispiel dafür ist wohl "Secret To The End", dessen anspruchsvolle Rhythmik fast das gesamte Stadion (absichtlich unterstelle ich) bis kurz vor Schluss überfordert hat. Auf diese Art Spannung zu erzeugen, klappt in kleinerem Umfeld sicher besser.
Ansonsten haben Depeche Mode aber eigentlich nichts verkehrt gemacht. Dass "Behind The Wheel" nicht gespielt wurde, fand auch ich schade. Dafür gab es aber den antiken (und in seiner Originalversion wirklich fürchterlichen) Hit "Just Can't Get Enough" zu hören. Und "Barrel Of A Gun" hat mich auch positiv überrascht. Leute, die am nächsten Morgen in Radiointerviews über die zu vielen neuen Stücke jammern, wird es immer geben. Auf der übernächsten Tour freuen gerade die sich aber auch, wenn "Heaven" oder "Should be Higher" wieder ausgepackt werden.


IM: Auf den Alben seit "Brave New World" haben Iron Maiden einige der großartigsten Stücke ihrer Karriere verewigt. Und sie erwecken nicht den Anschein, in dieser Hinsicht bald nachlassen zu wollen. Trotzdem haben sich Iron Maiden quasi in zwei Inkarnationen ihrer selbst aufgespalten. Die neuen Maiden stellen auf Tour ausführlich ihr gerade aktuelles Album vor. Die klassischen Maiden jedoch lassen eine Tour später eine Liveshow aus der "guten alten Zeit" (mit ein paar leichten Modifikationen) wiederaufleben. Man weiß also absolut, was man bekommt. Und auch ich musste einfach zu diesem Konzert, weil "Seventh Son Of A Seventh Son" nunmal mein absolutes auf alle Zeiten ewiges Lieblingsalbum der Band ist. Und wow, was wurde ich bedient! Meinetwegen hätte sie aber konsequenterweise wirklich alle (statt fünf von acht) Stücken dieses Klassikers spielen können. Trotzdem: Die Setlist war ein schöner nostalgischer Traum.

Den Umgang mit den ewigen Nörglern, die früher alles besser fanden, haben Iron Maiden also eindeutig besser drauf. Dennoch war ich persönlich mit der Setlist von Depeche Mode ebenfalls ziemlich zufrieden.
Was allerdings bei ihnen noch mehr nervt als bei Maiden ist ihre Gefangenheit in Ritualen, die irgendwann etabliert wurden und nun jedes Mal wieder durchexzerziert werden müssen: Arme schwenken bei "Never Let Me Down Again", Weitersingen der Melodien in Martin Gores Balladen, an dieser Stelle dreht Dave sich um die eigene Achse, die Damen kreischen, dort zieht er das Hemd aus, die Damen kreischen lauter... Das ist manchmal ein bisschen so, wie wenn bei Mario Barth die "Pointe" bejubelt wird. Alle wissen, was kommt, eigentlich ist der Witz schon lange raus, aber durch die schiere Masse derer, die das Spiel mitspielen, wirkt die Selbstbespaßung dann doch irgendwie.
Das klingt nun härter als es ist, dennoch gebe ich den Punkt schon für die Konsequenz ihres Tuns an Iron Maiden.


So, kann ich noch eine Kategorie aus dem Hut zaubern?
Wenn ich nochmal drüber schlafe sicherlich... aber irgendwann muss das hier ja auch mal fertig werden.


Also, Auswertung:

Mischer von Iron Maiden: minus 1 Punkt
Voodoo Six: 1 Punkt
Iron Maiden: 6 Punkte
Depeche Mode: 7 Punkte
 
Tja, ein knapper Sieg. Oder hätte ich mir noch ein paar Kategorien mit Maiden-Vorteil ausdenken sollen, um den mächtigen Metal gewinnen zu lassen?

Glückwunsch an Depeche Mode!


FAZIT:

Zwei sehr geile Konzerte, die jedes für sich ein tolles Erlebnis waren...

... und die miteinander zu vergleichen schon aufgrund der vollkommen unterschiedlichen Musik absoluter Schwachsinn wäre. 



SETS:


DEPECHE MODE:
  • Welcome To My World
  • Angel
  • Walking in My Shoes
  • Precious
  • Black Celebration
  • Policy Of Truth
  • Should Be Higher
  • Barrel Of A Gun
  • Higher Love
  • But Not Tonight
  • Heaven
  • Soothe My Soul
  • A Pain That I'm Used To
  • A Question Of Time
  • Secret To The End
  • Enjoy The Silence
  • Personal Jesus
  • Goodbye
  • Home
  • Halo
  • Just Can't Get Enough
  • I Feel You
  • Never Let Me Down Again

IRON MAIDEN:
  •  Moonchild
  • Can I Play With Madness
  • The Prisoner
  • 2 Minutes To Midnight
  • Afraid To Shoot Strangers
  • The Trooper
  • The Number Of The Beast
  • Phantom Of The Opera
  • Run To The Hills
  • Wasted Years
  • Seventh Son Of A Seventh Son
  • The Clairvoyant
  • Fear Of The Dark
  • Iron Maiden
  • Aces High
  • The Evil That Men Do
  • Running Free



 

2013-06-17

ANVIL - Hope In Hell

"Stabreim zu Stabreim" im Titel? Check!

 Albernes Klischee-Metal-Coverartwork mit Amboss? Check!

Infantile Schülerbandtexte? Check!

Breitmaulig grimassierender Frontmann und Drummer mit angewachsener Gehirnkappe? Check!

 --> ein neues Album von Anvil ist da!


 ANVIL - Hope in Hell (2013)


Wenn die schon knapp vor der Entdeckung des Feuers dagewesen Kanadier um Frontspinner Steve "Lips" Kudlow ein neues Album herausbringen ("Hope in Hell" ist ihr fünfzehntes Werk), dann ist mit einer Sache nicht zu rechnen, nämlich der Neuerfindung des Rades Ambosses.

Stattdessen wird die Zeitmaschine auf Anfang der Achtzigger gestellt und purer Heavy Metal ohne Schnörkel und Sperenzchen abgeliefert.

Die Stärken liegen dabei wie immer in der absolut souveränen musikalischen Permormance, die von Robb Reiners legendären Powerdrumming getragen und von Lips' aus vollem Herzen schreddernder Leadgitarre veredelt wird.

Die Schwäche liegt vor allem in den Texten, die man in Ermangelung einer geeigneten deutschen Vokabel nur als cringeworthy bezeichnen kann. Allerdings ist dies hier ja keine feinsinnige Prog-Veranstaltung, also muss man wohl einfach drüber hinweghören. Es ist ja nicht so, dass z.B. AC/DC uns jemals philosopisch stimuliert hätten. Und wenn es in "BadAss Rock'n'Roll" selbstreferentiell heißt "Bang your head / til you're dead / what Metal on Metal said" oder wenn in "Flying" tatsächlich nur diverse Flugrouten rund um die Welt aufgezählt werden, dann ist es auch schon wieder lustig.

Der Umgang mit Klischees ist eines der wesentlichen Merkmale, die für mich entscheiden, ob ich eine Band mag oder nicht. Die besten Herangehensweisen sind, Klischees ganz zu vermeiden, geschickt mit ihnen zu spielen oder sie gezielt zu kultivieren.
Anvil leben ihre Klischees. Die sind wirklich so! Und deswegen funktioniert diese Band. What you see ist what you get. Ehrlich währt am längsten. Totgesagte leben länger. Hach, da freut sich das Phrasenschwein!

Aber abgesehen davon, dass Anvil es grundsätzlich einfach draufhaben, muss man doch festhalten, dass das Niveau von "Juggernaut of Justice" leider in keiner Minute erreicht wird. Den Anspruch dieses Albums kann man ganz klar nach Motörhead-Manier verorten: "We are Anvil and we are rock'n'roll!"
Das sind sie auch und selbst das "Smoke On The Water"-Gedächtnisriff in "Through With You" ändert nichts daran, dass "Hope In Hell" frischer wirkt als das bekannterweise unter schwierigen Bedingungen entstandene "This Is Thirteen".

Doch im Vergleich zum direkten Vorgänger, der auch ein paar erfolgreiche Experimente wagte, fehlt einfach etwas. Und ich bin wohl nicht der einzige, der vermutet, dass "etwas" der letztes Jahr im Unfriedenen gegangene Bassist Glenn „Five“ Gyorffy sein könnte, der der Band songwritingtechnisch sicherlich mehr Feuer unterm Hintern gemacht hat, als es sein Nachfolger Sal Italiano kann, von dem ich hier noch keine nennenswerten Impulse heraushöre.

So bleibt für Album Nummer 16 ("Artwork mit Amboss"), durchaus wieder Luft nach oben.

Live hingegen (bald ist ja wieder Wacken!) mache ich mir keine Sorgen, denn die Bühne ist für Anvil ohnehin wichtiger als das gerade aktuelle Studioalbum.

Anspieltipps: Call Of Duty, Pay the Toll, Shut The Fuck Up, Mankind Machine



2013-06-16

DEPECHE MODE - Delta Machine

So, nun da morgen ja ein langerwartetes, intimes Konzertchen (zum kleinen Preis *hüstel*) ansteht, wird es doch mal Zeit, hier nach längerer Pause mal wieder den Tonträgerrezensionsmodus einzuschalten.

Ein neues Depeche Mode-Album einzuordnen oder zu beschreiben finde ich immer schwierig, es sei denn, man begnügt sich mit "Depeche Mode eben".

Im Grunde hat man ein Album so ja schon zu achtzig Prozent erfasst. Denn der ureigene Sound besteht ja spätestens seit "Music For the Masses" aus denselben Zutaten, die nur jeweils in verschiedenen Anteilen gemixt werden: eine Basis aus düsterem Elektropop, die genial aufs wesentliche reduzierte Gitarre Martin Gores, hier ein bisschen Soul und Gospel, dort etwas Stadionappeal... dazu die markante tiefe Stimme Dave Gahans und dahinter das hohe Vibrato von Gore, der auch stets einen Leadtrack bekommt - es muss schließlich Material da sein, um Gahan live eine Verschnaufpause zu gönnen.

Mal fällt es experimenteller, mal zugänglicher, mal analoger, mal digitaler, mal introvertierter, mal mehr nach außen gekehrt aus. Aber im großen und Ganzen steht der Sound. Dass seit einiger Zeit nicht nur Gore und Andrew Fletcher fürs Songwriting zuständig sind und sich auch Dave Gahan mehr einbringt, ist für mich eine Randnotiz, da er sich ja auch stets klar im großzügig abgesteckten Klangkosmos von Depeche Mode bewegt.

Am Ende bleiben von fast jedem Album mit der Zeit ein paar Füller, viel Gutes und ein paar Klassiker für die Ewigkeit. Das wird beim diesjährigen Werk nicht anders sein. Allein welche Songs langfristig welcher Kategorie zuzuordnen sind, das muss die Zukunft erst zeigen.

Aber schauen wir uns das Ding doch erstmal an...



DEPECHE MODE - Delta Machine (Deluxe Edition) (2013)

Die Deluxe-Edition kommt als edel gestaltetes media book, auf welchem sich selbst das eigentlich doch ziemliche maue Plattencover gut macht. Die zahlreichen wie immer von Anton Corbijn geschossenen Bandfotos zeugen nicht nur davon, dass Depeche Mode zu ihren grauer werdenden Haaren stehen, sondern dass Martin Gore in seiner Freizeit offenbar Stinktiere schießt und zu hässlichen Mützen verarbeitet.

Abgesehen von der Verpackung ist "Deluxe" aber eigentlich etwas übertrieben, da sich auf der zusätzlichen Discs lediglich vier weitere Songs befinden, welche zwar zu den Highlights des Albums gehören, von der Spielzeit her jedoch auch noch locker auf die erste CD mit draufgepasst hätten. Man bekommt also nur extra, was einem auf der "Sparversion" des Albums durch künstliche Verknappung vorenthalten wird. Da hat man von den Engländern schon großzügigeres gesehen (Stichwort Surroundsound).

Zur Bedeutung des Titels gibt es sicherlich zahlreiche Theorien. Eine der einfacheren besagt, dass er einfach den Bogen spannt zwischen den beiden Polen des Albums, von kalter Elektronik ("Machine") zum warmen Blues, für den "Delta" synonym steht. Oder in Songs ausgedrückt: von "Slow" und "Angel" zu "Soft Touch/Raw Nerve".



Tatsächlich bietet "Delta Machine" Depeche Mode in ihrer gesamten stilistischen Breite, verteilt auf 13 bzw. 17 Tracks. Klar, wer immer noch den Achtziger Jahren und Alan Wilder hinterher trauert, der wird auch jetzt nicht glücklich werden.
Wen es nicht stört, dass die Hitdichte nach "Ultra" nachgelassen hat und man sich in die Alben der 2000er-Jahre eventuell etwas länger hineinhören muss, für den bietet das neue Werk wieder jede Menge Schätze.

Die Basis besteht dabei meistens aus tiefen Brumm- und Waberklängen auf elektronischen Beats. Auf dieser baut sich eine je nach Song  minimalistische bis breitwandige - und erfreulich dynamisch produzierte - Klangvielfalt auf. Stimmlich wird auch stets der richtige Ton getroffen, wobei besonders der für Gahan-Verhältnisse auffallend hohe Gesang von "Should Be Higher" (logisch...) heraussticht.

Vielleicht ist Martin Gores "The Child Inside" zu theatralisch, vielleicht "My Little Universe" zu kauzig experimentell geraten. Vielleicht ist "Soft Touch/Raw Nerve" eine Ecke zu stumpf. Vielleicht auch nicht, ich kann mich nicht entscheiden.
Und wenn es doch so ist, macht es die Tatsache doch noch witziger, dass eine Band, die solche nicht gerade radiooptimierten Stücke schreibt, einen so enormen kommerziellen Erfolg hat. Überhaupt erscheint mir die Popularität von Depeche Mode ja manchmal wie ein erfrischendes Missverständnis.

Ich freue mich jedoch schon sehr darauf, morgen live an diesem Irrtum teilzuhaben. Und nichts steigert die Vorfreude darauf mehr, als "Delta Machine" in Heavy Rotation!


Anspieltipps: Always, Goodbye, Welcome To My World, Secret To The End, Heaven, Should Be Higher, Long Time Lie